Zöllner-Männerchor Bernburg e.V.

Singen und Seele

Singen und Seele

 



Ein Beitrag unseres Sangesbruders Thomas Fricke

Singen als Medizin für Individuum und Gesellschaft

Ob unter der Dusche oder im Chor, ob Klassik oder Volksmusik - singen ist gesund. Gesang fördert das Immunsystem, das Herz und den Kreislauf und hellt die Stimmung auf.

Dabei kommt es nicht auf musikalische Perfektion an - im Gegenteil. Und dennoch: Die Deutschen singen immer weniger. Dahinter steckt oft die Angst, sich zu blamieren.


Singen als Medizin

Mit genau diesem Thema - der heilenden Kraft von Musik und Gesang – beschäftigt sich der Ulmer Musiktherapeut und Psychotherapeut Wolfgang Bossinger seit mehr als 20 Jahren.
Ähnlich wie bei Humor und Lachen wurde eine heilende Wirkung durch Gesang zwar
Jahrzehnte lang angenommen, jedoch kaum wissenschaftlich näher erforscht. Dies hat sich in den letzten Jahren geändert und die aktuellen Erkenntnisse zu sozialen, heilenden und gesundheitsfördernden Wirkungen des Singens sind mehr als ermutigend.
Indianische und andere native Kulturen verstanden Gesang schon immer als "Medizin". Singen war bei Naturvölkern eingebunden in Rituale der Heilung, der Gleichgewichtssuche und der Verbindung mit der Natur.
Dieses alte intuitive Wissen war alles andere als primitiv, denn aktuelle Forschungsergebnisse können mittlerweile eine Vielzahl gesundheitsfördernder und gemeinschaftsbildender Wirkungen von Gesang bestätigen.

Die mit Herrn Bossinger befreundete Gesangsforscherin Betty Bailey interviewte in Kanada Mitglieder des "Homeless Choir" (Chor der Wohnsitzlosen) und im Rahmen ihrer Studie zeigte sich, dass bereits wenige Jahre gemeinsamen Singens den Wohnsitzlosen dabei geholfen hatte, ein angemesseneres Sozialverhalten zu entwickeln: Die Wohnsitzlosen berichten in den Interviews von einer Abnahme ihres Drogenkonsums und des Impulses sich zu betrinken. Antisoziale Verhaltensweisen wichen sozialen Umgangsformen und gegenseitige Empathie nahm zu. Ein besonders wichtiges Ergebnis in sozialer Hinsicht war, dass Gewalt und Aggression erheblich abnahmen, während gemeinschaftliche Verbundenheit zunahm. Darüber hinaus verbesserte sich das psychische Gleichgewicht der wohnsitzlosen Sänger.

Sie waren weniger depressiv, wurden beziehungsfähiger, selbstschädigende Verhaltensweisen und körperliche Symptome nahmen ab. Solche Ergebnisse ermutigen und zeigen, dass Singen sogar und gerade bei besonders gefährdeten gesellschaftlichen Gruppen therapeutische Wirkungen entfalten kann.

Ähnlich positive Ergebnisse gibt es in der musikpädagogischen Forschung - auch hier erwies sich erweiterter Musikunterricht und Singen als wirksame Form der
Gewaltprävention und Förderung emotionaler und sozialer Kompetenz.
Eine Reihe von Studien konnte schließlich die positiven psychischen Wirkungen
gemeinsamen Singens erhärten (nähere Informationen dazu in Bossingers
erschienenen Buch "Die heilende Kraft des Singens").


Singen macht glücklich

Regelmäßig singende Menschen seien laut Studien ausgeglichener und seltener depressiv, betont Wolfgang Bossinger.

Über die positiven Effekte von Gesang sind sich Wissenschaftler und Musiktherapeuten heute einig: Menschen, die regelmäßig singen, seien im Vergleich zu Nicht-Singern durchschnittlich signifikant gesünder, so Karl Adamek, Musikpsychologe an der Universität Münster. Gesang beeinflusst nicht nur die Seele positiv - seine Wirkung lässt sich auch messen.

In einer Studie der Universität Frankfurt wurden die Mitglieder eines Laienchors vor und nach der Aufführung von Mozarts Requiem getestet. Nach dem Konzert war die Konzentration des Abwehrstoffs Immunglobulin A im Speichel deutlich gestiegen.

Robert Beck von der University of California fand bei Chor-Mitgliedern nach der Aufführung von Beethovens Meisterwerk Missa Solemnis um 240 Prozent erhöhte Immunglobulin A-Werte im Speichel der Sänger.

Diese körpereigenen Abwehrstoffe schützen vor allem die Schleimhäute im Nasen- und Rachenraum vor Infektionen.

Die Erhöhung der IgA-Werte hing dabei offenbar mit dem Ausmaß an Euphorie zusammen, welches die Sänger verspürten, berichtete der Forscher.

Zudem stärke Singen das Herz-Kreislauf-System. In der Frankfurter Untersuchung hatten bei den Chormitgliedern negative Gefühle nach der Aufführung nachgelassen und positive zugenommen. Bloßes Zuhören reichte nicht aus, um diese Effekte zu bewirken.
Darüber hinaus werde der Körper durch die intensivere Atmung beim Singen besser mit Sauerstoff versorgt, was die Herz-Kreislauf-Fitness steigere, so Herr Bossinger.

Inzwischen gibt es zahlreiche wissenschaftliche Argumente dafür, dem Alltagsstress mit einem Lied auf den Lippen zu begegnen, wie Wolfgang Bossinger in Psychologie Heute (Januar 2007, S. 48) erklärt.

Bossinger stellt in der Fachzeitschrift die Ergebnisse seiner eigenen Befragung von 26 Amateursängern vor. Diese hatte ergeben, dass den Sängern bei beliebten Passagen oft ein Schauer über den Rücken läuft.

Dieses Gänsehauterlebnis, von Bossinger „Hautorgasmus“ genannt, beobachteten auch die Hirnforscher Anne Blood vom Massachusetts General Hospital in Charlestown und Robert Zatorre von der McGill University in Montreal bei Menschen, die Musik hörten (Proceedings of the National Academy of Science 2001, Band 98: 11818-11823).

Sie entdeckten, dass zeitgleich mit diesem Schauer die Hirnbereiche aktiv waren, die mit dem Belohnungssystem in Zusammenhang stehen. Dabei, so vermutet Bossinger, wird das Glückshormon Dopamin und körpereigene Opiate ausgeschüttet – eine Reaktion, die auch beim Sex und dem Konsum von Drogen oder Schokolade stattfindet.

Gleichzeitig würden beim Singen diejenigen Hirnzentren gehemmt, welche mit Angstempfinden in Verbindung stehen, berichteten Blood und Zatorre.

Weitere "Gesangs-Hormone" die unser Immunsystem unterstützen, unsere biologischen Rhythmen regulieren, dem Alterungsprozess entgegenwirken und eine Antikrebs-Wirkung haben, sind Melatonin und DHEA-Hormon.
Das "Kuschelhormon Oxytocin" wird beim Singen ebenfalls massenhaft produziert
(bekannt war bisher eine erhöhte Ausschüttung beim Stillen und bei Sex). Ocytocin
verstärkt neben den positiven körperlichen Wirkungen (Verringerung von
Stresshormonen, schnellere Wundheilung, schmerzdämpfend und angstlösend) vor
allem Gefühle der Liebe und Zuneigung zwischen Menschen.
Auch in unserem Gehirn passiert beim Singen viel. Wenn uns die Musik beim Singen
berührt (sog. Thrill-Erfahrungen, wie Gänsehaut, Schauer), werden unsere gehirneigenen Belohnungssysteme (u.a. Endorphin- und Dopaminausschüttung) aktiviert - wir fühlen uns glücklich, haben eine erhöhte Lernfähigkeit und spüren Schmerzen nur noch gedämpft.


Natürliches Atmen löst Verspannung

Eine Schlüsselrolle beim Singen kommt der Atmung zu. "Die meisten Menschen atmen bei Stress und Angst eher flach", erklärt Wolfgang Bossinger.
Beim Singen dagegen geht der Atem in den Bauch, man atmet tiefer - und entspannt. Mehr Sauerstoff wird vom Körper aufgenommen, die Durchblutung wird gefördert und der Stoffwechsel angeregt.


Momente der Transzendenz

Singen ermöglicht auch sogenannte "Gipfelerfahrungen" oder wie der schwedische
Musikwissenschaftler Prof. Gabrielson es nennt: "Strong Experiences of Music" ("Starke Musikerfahrungen"), Bei solchen Erfahrungen erweitert sich unser Bewusstsein und wir erleben unsere transzendente, innere Natur. Dies sind Momente des "Ankommens", der "Verbundenheit" und "Liebe" und bei religiösen Menschen oft auch Erfahrungen der "Verbundenheit mit dem Göttlichen". Prof. Gabrielson konnte in einer Analyse hunderter von Interviews nachweisen, dass solche starken Musikerfahrungen ebenfalls ein großes Heilungspotential beinhalten und manchmal selbst verzweifelten Menschen wieder Sinn und Zuversicht vermitteln können.


Alptraum in der Schule

Die heilende Kraft des Singens lässt allerdings schnell nach, wenn Perfektion und Leistung in den Mittelpunkt gerät. Statt Entspannung stellen sich dann mitunter Stress und Angst ein, Freude an der Musik wird schnell zur Qual. Singen und Tönen sei etwas ganz Natürliches, sagt Stimmtherapeutin Regina Lindinger. "Doch je nachdem, wie wir erzogen sind, wird uns das abgewöhnt". Viele von Regina Lindingers Kunden haben die Freude ihrer Stimme zu dem Zeitpunkt verloren, als sie zum Singen gezwungen wurden, zum Beispiel in der Schule - allein vor den Mitschülern und zensiert durch Noten. Im Innersten geblieben ist bei vielen die Angst, sich vor anderen zu blamieren.
Leistungsdruck schmälert die positive Wirkung von Gesang.


Die Stimme neu erwecken

Viele Menschen haben umso mehr das Bedürfnis nach Gesang, je seltener sie im Alltag singen.

Im Grunde kann jeder singen. Es kommt nicht darauf an perfekt zu singen. Niemand braucht Angst vor „falschen“ Tönen zu haben.

Mit Menschen zu singen, die ebenfalls Freude am Gesang haben, ist der eigentliche Sinn unseres Chorgesanges. Es geht nicht darum Lieder perfekt zu interpretieren, sondern Musik zu machen voller Leben, Liebe und Hingabe. So, wie es jeder einzelne Chorsänger eben kann.

„Musik machen im Allgemeinen und Singen im Speziellen (und im Ensemble singen besonders!) hat Einiges mit Offenlegung der eigenen Seele in der Öffentlichkeit zu tun (ohne dass es in irgendeine Form von Exhibitionismus ausartet).

Für sich selbst den Schritt zu wagen, aus sich heraus Töne zu produzieren, sie anderen anzubieten in der Hoffnung, daß sie ein Bedürfnis erfüllen können und sich in diesem Bemühen dann noch mit den Mitsingenden zu einem Instrument zu vereinen, so daß die eigene Stimme aufgeht in einem Ganzen – das sind Voraussetzungen für die Erfüllung eines Augenblicks.“

Dieses Zitat stammt aus dem Brief des Chorleiters, der an die Sängerinnen und Sänger im Gedenken an die gemeinsame Aufführung des „Requiem“ von Wolfgang Amadeus Mozart am 04.11.2007 in der Schlosskirche zu Bernburg gerichtet war.

Und ich muss sagen, diese Worte sprechen mir aus dem Herzen. Einen solchen Augenblick erleben zu dürfen, wünsche ich allen Menschen

Aber nur Derjenige, der seine Stimme zum singen nutzt, kann solche Momente erleben!
Darum zögere nicht und sing gemeinsam mit uns!

Zu Risiken und Nebenwirkungen frag aktive Chormitglieder oder den Chorleiter.



Quellen: http://www.seeschau.ch/download/Stimme_Gesang.pdf
http://www.medical-tribune.de/patienten/news/19326/
http://www.sueddeutsche.de/,wm1/gesundheit/artikel/675/94581/